„Königin Silvia Kostüm“

Seiden Kostüm in Motion

 

Herr Seidel und das Schneiderhandwerk

Herr Seidel ist ein Maßschneider aus Niedersachsen mit eigenem Atelier. 1947 begann er mit vierzehn Jahren seine Lehre als Schneider. Er arbeitete zehn Jahre lang in einem „Nobelschuppen“  und lernte dort das Handwerk nochmal neu. In den 60er Jahren machte er sich selbstständig. In Oldenburg gab es in den 50er Jahren ca. 180 Herren- und 200 Damenschneider. Viele Kleidungsstücke wurden aus Altkleidern geschneidert. Die Schneiderei von Herrn Seidel richtet sich an Ärzte, Kaufleute, also eher wohlhabende  Personen. Sein besonderer Service besteht darin, die Kunden zu Hause zu besuchen. In den 80er Jahren war maßgeschneiderte Kleidung noch weit verbreitet, so Herr Seidel. Erst ab dem 21. Jahrhundert kam es durch die Massenproduktion zu großen Veränderungen.

Seine Stoffe bezog der Schneider aus Kollektionsbüchern. Herr Seidel arbeitet nicht mit Stoffen aus Asien, da er diese als „minderwertig“ ansieht. Hauptsächlich bestellte er in Großbritannien und Frankreich.

Frau Ludwig galt als gute Kundin von Herrn Seidel. Ihr Stil ist klassisch elegant. Da sie mit ihrem Mann ein Juweliergeschäft betrieb, brauchte sie dementsprechend feine Kleidung. Frau Ludwig sah das Kleid von Königin Sylvia in einem Magazin und wollte genau dieses Kostüm nachgeschneidert haben. Herr Seidel änderte es leicht ab, jedoch verwendete er denselben Stoff mit identischem Muster. So entstand die Bezeichnung „Königin Sylvia Kostüm“.

(Die Informationen basieren auf ein Interview mit Herrn Seidel  am 02.12.2016)

 

Das Frauenkostüm im Wandel

Ein Kostüm ist ein „Zweiteiliges, aus Rock und dazugehöriger Jacke bestehendes Kleidungsstück für weibliche Personen“ (Bibliographisches Institut GmbH 2017). Zu den Elementen des Kostüms gehören meistens noch eine Bluse, ein Strumpf bzw. die Strumpfhose, Absatzschuhe, dezenter Schmuck, eventuell ein Hut und eine kleine Handtasche.

Die Geschichte des Frauenkostüms geht bis ins 19. Jahrhundert zurück: die Schoßtaille, welche 1845 aktuell wurde, wurde zum Wegbereiter des Kostüms (vgl. Thiel, 2010, S. 319). In der Epoche 1870-1890 setzte sich das Kostüm erstmals durch. Die Kombination aus Rock und Jacke gilt als wichtigste Modeneuschöpfung des 19. Jahrhunderts und kommt ursprünglich aus England. Durch den praktischen Schnitt und den dauerhaften Materialien wurde das Kostüm bald zum unentbehrlichen Kleidungsstück der im Beruf stehenden Frau und wurde somit zu einem Symbol der Emanzipation.

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Im Laufe der 1880er Jahre wurde das Kostüm zur Straßenkleidung (vgl. Thiel, 2010, S. 363).In den 90er Jahren etablierte sich die Bluse als ideale Ergänzung zum Kostüm und dieses wurde immer unentbehrlicher für die Frau. Die Kostüme dieser Zeit bestanden aus bodenlangen Röcken, welche teilweise sogar eine kleine Schleppe besaßen (vgl. Thiel, 2010, S.380). Ein paar Jahre später änderte sich der Schnitt erstmals nachhaltig: das Kostüm wurde sachlicher und zweckmäßiger. Der ausfallende Glockenrock wandelte sich zum schmalen Rock – die Rocklänge blieb jedoch knöchellang (vgl. Thiel, 2010. S. 388). Ab den 20er Jahren wurde das Kostüm noch einfacher und sachlicher. Die Jacken wiesen zudem viele Übereinstimmungen mit dem klassischen Männerjackett auf (vgl. Thiel, 2010, S. 399 f).

Nach dem Krieg erhielt das Kostüm in den 1950ern Jahren den sogenannten „New Look“: Es wandelte sich zur eng taillierten Jacke mit Bleistiftrock (vgl. Thiel, 2010, S. 414). Am 5. Februar 1954 revolutionierte Coco Chanel das Kostüm. An diesem Tag eröffnete sie ihren Modesalon in Paris wieder und stellte das Chanel Kostüm vor. Die Grundform dieses Kostüms ist bis heute erhalten. Den Ursprung hat das Chanel Kostüm bereits 1925, jedoch mit einem Cardigan. Chanel folgte mit ihrem modischen Zweiteiler dem Gestaltungsprinzip „form follows function“. Das typische Chanel Kostüm besitzt eine kastenförmige, meist kragenlose und hüftlange Jacke mit aufgesetzten Taschen und einen knielangen, engen Rock. Typisch waren damals auch dezente Schulterpolster und aufgesetzte Borten und Knöpfe. Ihre Entwürfe waren zunächst unbeliebt und wurden als „altbacken“ verschrien. Das Chanel Kostüm etablierte sich allerdings in den 50er und 60er Jahren zu dem Standardkleidungsstück der eleganten Frau und wurde zum Gegenstück des Herrenanzuges. Lagerfeld modernisierte das klassische Kostüm einige Jahre später. Bis heute gilt das Chanel Kostüm als Modeklassiker und der Schnitt wurde zahlreich kopiert (vgl. Chanel, 2013).

In den 60er und 70er Jahren wurde die Schulterpartie des klassischen Frauenkostüms etwas akzentuierter und der Minirock kam in Mode (vgl. Thiel, 2010, S. 427). Durch das Kostüm unterstrich die Frau ihre Unabhängigkeit und Autorität. Ihre Kompetenz zeigte sich durch ihre Kleidung und so trug sie ausdrucksstarke Kostüme (vgl. Fashion, 2012).

 

Das Kostüm in den 80er Jahren

In den 80er Jahren entwickelte sich ein in die Breite gehender maskuliner Stil in der Frauenmode. Die Schultern wurden mit Hilfe von Schulterpolster in Szene gesetzt und Rocklängen variierten von kurz bis lang. Bei den Stoffen wurden weiche und fließende Materialien bevorzugt, welche mit einem Einlagestoff verstärkt wurde. Puffärmel wurden auch wieder aus dem 19. Jahrhundert aufgegriffen. Vor allem vor auffälligen bunten Farben und großen Accessoires wurde nicht zurück geschreckt (vgl. Thiel, 2010, S. 440 f). Die achtziger Jahre stehen aber auch für elegante schmeichelnde Kleider mit „Figur“. Die Schnitte wurden raffinierter, femininer und fast architektonisch konstruierte Kleider wurden zum Verkaufsschlager. Auch die Erotik erlebte sein Comeback, mit tiefen Ausschnitten und hohen Schuhen (vgl. Burda Moden, 1982).

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Mode wurde immer mehr zum Statussymbol. Die Achtziger riefen mit dem Versprechen Luxus für alle. Warenhäuser wurden immer größer und beliebter und die Kunden legten weniger Wert auf Qualität, denn das Label stand im Vordergrund. Frauen lernten ihre Kleidung für ihren beruflichen Erfolg einzusetzen: die erfolgreiche Frau trug ein Kostüm mit Rock, dazu eine Seidenbluse und fleischfarbene Strümpfe ergänzt durch dezenten Goldschmuck und Schuhe mit kleinem Absatz kombiniert (vgl. Seeling, 2016).

Das Königin Sylvia Kostüm ist eine Variante des Kostüms, ein Zweiteiler, der wie ein Kleid wirkt. Formal ist die schlichte und elegante Ausführung, aufgepeppt durch seinen raffinierten Schnitt und den Details der Jacke recht typisch für das Kostüm der 80er Jahre. Vermutlich trug Frau Ludwig ebenfalls dezenten Goldschmuck, schlichte Absatzschuhe und eine kleine Handtasche, denn sie wusste, ihren Status als Geschäftsfrau angemessen zu repräsentieren.

 

 

Das Kostüm heute

Das Kostüm gehört heutzutage nicht zu dem Standartkleidungsstück des 21. Jahrhunderts, gilt aber noch als elegantes Statussymbol zu bestimmten Anlässen. Insbesondere zur Repräsentation im politischen und öffentlichen Raum ist es für Frauen die Alternative zum maskulinen Anzug.

Es bildet auch die Grundlage der Arbeitskleidung für die als seriös erachteten Branchen und uniformierte Berufsbekleidung.

 

Quellen

Thiel, Erika: Die Geschichte des Kostüms. Die europäische Mode von den Anfängen bis zur Gegenwart. Henschel Verlag, Leipzig, 2010

Seeling, Charlotte: Mode. 150 Jahre Couturiers, Designer, Marken. H.f. Ullmann, Königswinter, 2016

Smithsonian: Fashion. The Definitiv History of Costume and Style. DK Verlag, München, 2012

Chanel 2013: The jacket: Inside Chanel. In: YouTube https://www.youtube.com/watch?v=zx1R49B_tzw  (vom 30.03.2017)

Burda Moden: August 1982