Ästhetik und Ästhetikkonventionen in der Amateurpornographie

Das Internet als Panoptikum

„Jeder Käfig ist ein kleines Theater, in dem jeder Akteur allein ist, vollkommen
individualisiert und ständig sichtbar.“ (Foucault 1976: 257)

Laut Michel Foucault und seiner Analyse des Panoptikums, strebt der Mensch nach einer allumfassenden Sichtbarkeit der Anderen. Zwar bezieht Foucault diese Theorie auf das Beispiel der Überwachung von Sträflingen in einem Gefängnis, sein Analyseansatz lässt sich jedoch auf den/die Amateurpornokonsument_in anwenden. In diesem Falle befindet sich der/die Youporn-User_in vor seinem/ ihrem Computer, das Internet kann hier als eine Art Panoptikum betrachtet werden. Über das Internet hat er/sie die Möglichkeit jeden jederzeit beim Sex zu beobachten. Eben durch Amateurvideos von und mit Amateuren (und dies ist der entscheidende Aspekt) wird dem/der User_in der Eindruck vermittelt, er/sie würde normale Menschen heimlich beim Sex beobachten. Dem Voyeurismus, aus dem laut Sven Lewandowski der tatsächliche Konsum von Pornographie überhaupt erst entstehen kann, wird somit stattgegeben. Der Voyeurismus bezeichnet hier nicht nur den Akt des Zusehens, von ihm geht gleichzeitig die Möglichkeit aus, sich anderer Körper zu ermächtigen, um seine eigenen Bedürfnisse zu befriedigen.1 Aus diesem Grund übt die Amateurpornographie auch ihren starken Reiz aus. Der Sex, der dort beobachtet werden kann, ist nicht klinisch, steril, gestylt, sondern authentisch (Lewandowski 2012: 118). Sven Lewandowski beschreibt dies als eine neue Ästhetik. Charakteristisch für diese neue Ästhetik ist die Existenz und Akzeptanz von Makeln. Während in der professionellen Pornographie die Drapierung makelloser, reiner, normierter weiblicher Körper im Vordergrund steht, wird inAmateurkreisen mehr Wert auf die authentische Darstellung des Aktes gelegt. Lewandowski untersuchte zudem die Körperlichkeit der Amateurdarsteller und der Schauspieler_innen in professionellen Produktionen und fand heraus, dass in der kommerziellen Pornographie das Hauptaugenmerk auf überdurchschnittlich attraktive Frauen und Männer mit großen Penissen Wert gelegt wird. Das heißt: Im Zentrum der Darbietung liegt ein schöner Frauenkörper und ein großes männliches Geschlechtsteil (ebd. 117). Im Gegensatz dazu werden in der Amateurbranche eher Frauenkörper von durchschnittlicher Attraktivität abgebildet, die Schönheit der Männer nennt Lewandowski sogar unterdurchschnittlich (ebd.). Es kristallisiert sich also heraus, dass die Amateurpornographie, wenn auch unbewusst, einen Normalisierungsprozess durchläuft. Den Konsument_innen soll hier die Möglichkeit einer Identifikation gegeben werden. Gleichzeitig werden jedoch auch männliche Phantasien vom Geschlechtsverkehr mit einer attraktiveren Frau angeregt.

Normalisierungsstrategien in der Amateurpornographie

„Das Normale ist stets das Normale eines bestimmten und bestimmenden Kontextes, nämlich des Sinnzusammenhangs des jeweiligen sozialen Systems, bzw., wie es bei Dilthey heißt, des Kultursystems.“ (Willems 2003: 52).

Herbert Willems beschreibt so die Kontinuität, in welcher sich das sogenannte Normale in der Gesellschaft entwickelt und fortsetzt. In diesem Kapitel der Untersuchung möchte ich zeigen, dass eben das Normale maßgeblich an der ästhetischen Erfahrung der/des Amateurpornokonsument_in beteiligt ist und sich durch das scheinbar Normale die gewünschte Authentizität verkörpert. Um den Schein des Authentischen zu wahren, herzustellen oder zu inszenieren, muss eine genau Abgrenzung von Amateurpornographie und professionellen Produktionen stattfinden:
Die große Nachfrage nach privaten oder privatproduzierten Videos liegt in der differenten Darstellung des Themas. Die professionelle Pornographie arbeitet mit stark ikonographisierten und idealisierten Schauspieler_innen. Die Stars der Branche sind meist weiblich und aufgrund ihres attraktiven Äußeren begehrt und beliebt bei den Konsument_innen. Im Zentrum steht immer ein geformter, schöner Frauenkörper und ein überdurchschnittlich großes männliches Geschlechtsteil (Lewandowski 2012: 118). DieProduktionsfirmen arbeiten stark mit körperlichen Idealen und vermarkten die Filme über die schöne, vollbusige Pornodarstellerin. Der eigentliche Akt ist eingebettet in eine Story und findet in sterilen, jedoch ansprechend gestalteten Räumen statt. Während also in der professionellen Pornographie sehr viel Wert auf körperliche Schönheit und designte Räume gelegt wird, rücken in den Amteurvideos andere Aspekte in den Vordergrund. Was hier grundlegend für eine hohe Klickzahl ist, ist die authentische Inszenierung des Aktes und der Darsteller_innen. Diese wird hergestellt, indem fast ausschließlich durchschnittlich attraktive2 Frauen und weniger gut ausgestattete Männer abgebildet werden (ebd. 120). Der Fokus liegt zudem nicht auf dem Körper in Gänze, sondern auf Close-Ups beider Geschlechtsteile und meist dem Gesicht der Frau. Festzustellen ist jedoch, dass sich Normalisierungsstrategien in der Amateurpornographie im Verborgenen vollziehen und von den Uploader_innen in der Regel nicht beabsichtigt sind. In der professionellen Pornobrache ist bekannt, dass sich die meisten weiblichen Darstellerinnen plastischen Operationen unterziehen, um dem gesellschaftlichen Ideal zu entsprechen (Walter 2010: 297), das heißt, der Natürlichkeit, die der Authentizität zu Grunde liegt, wird nicht entsprochen. Laut verschiedener Youporn-User_innen seien professionelle Pornos also per se nicht authentisch, da nicht einmal der gezeigte Körper authentisch, sondern künstlich geschönt ist. In der Amateurpornographie hingegen, in der laut Youporn-Slogan ungeschönter, nicht gestylter Sex dargestellt3 wird, sind Frauen mit Makeln und Sex mit Makeln zu sehen. Der/die Youporn-User_in wird von dem Wunsch nach echtem, authentischem Sex geleitet, nach der wahren sinnlichen Erfahrung, die er/sie nur dort erfährt, wo ihm/ihr durch die Darstellung ganz normaler Körper die Möglichkeit zur Identifikation gegeben wird. Zusammenfassend lassen sich also verschiedene Normalisierungsprozesse innerhalb der Amateurpornographie feststellen, um eine Authentizität zu inszenieren, die bei dem/der jeweiligen Konsument_in sexuelle Lust und eine ästhetische Empfindung hervorrufen kann. Es wird eine neue Welt geschaffen, die man laut Baudrillard als Hyperrealität bezeichnen kann. Das als Wirklichkeit inszenierte wird hier wirklicher, realer betrachtet, als die Wirklichkeit selbst. Knüpft man an den französischen Philosophen an, so liege es also fern, Amateurpornos als wahrhaftig zu bezeichnen, sie schaffen lediglich eine als authentisch dargestellte Form eines Aktes, der zwar wirklich wirkt, doch tatsächlich mehr mit einemTheaterstück gemein hat, als mit der Realität4. Während Umberto Eccos Hyperrealitätstheorie die Hyperrealität als eine Welt beschreibt, in der die Kopie eindeutig vom Original zu unterscheiden5 ist, misst Baudrillard dieser viel mehr Macht zu, da die Darstellung der Kopie, also des Hyperreellen, tatsächlich so real ist, dass eine genaue Unterscheidung eben nicht mehr möglich ist. Er konstatiert zwar weiterhin, dass die Realität durch die Hyperrealität an Bedeutung verliere, doch gleichzeitig verweist die Hyperrealität auf die Realität:

„(…) irgendwo gibt es guten Sex, denn ich bin seine Karikatur. In seiner grotesken Obszönität ist er ein Versuch, die Wahrheit des Sex zu retten, um dem immer schwächer werdenden Sexualmodell neue Glaubwürdigkeit zu verschaffen.“ (Strehle [nach Baudrillard] 2012: 111)

Endnoten

1 Gemeint ist hier die Ermächtigung und Instrumentalisierung anderer Körper durch den Akt des Beobachtens, man kann also nicht von einer direkten, sondern eher von einer indirekten Ermächtigung sprechen.

2 Auch an dieser Stelle muss von einer subjektiven Wahrnehmung des Autors (Sven Lewandowski) ausgegangen werden. Er selbst definiert hier, wer oder was als attraktiv bezeichnet werden kann. In seiner Untersuchung wird nicht deutlich, ob es sich bei dieser Aussage um die Widerspiegelung einer auf gesellschaftlichen Normen festgelegten Beurteilung eines Frauenkörpers handelt, oder ob dies auf rein subjektiver Empfindung des Autors beruht. Die Aussage bleibt also kritisch zu beurteilen.

3 Ich verwende hier bewusst den Ausdruck der Darstellung, da ich mich auf Aussagen der Plattform Youporn beziehe, nicht auf meine eigene.

4 Die Differenzierung der Begriffe Realität, wahr und tatsächlich ist im Zusammenhang mit der Frage nach einer authentischen Darstellung schwierig. Mit Realität meine ich in diesem Zusammenhang lediglich den echten Akt, der auf keine Art und Weise inszeniert, oder geplant ist. Eine wahre Darstellung des Aktes in einem bei Youpornhochgeladenen Video kann hier also nur dann gegeben sein, wenn es sich um Filmaufnahmen aus dem verborgenen handelt. Ich werde im Fazit noch einmal auf diesen Aspekt eingehen.

5 An dieser Stelle verweise ich kurz auf die professionelle Pornographie, die mit genau diesem Aspekt arbeitet